Der Schachclub Viernheim konnte sich beim Meisterschaftsgipfel der 1. Bundesliga den Titel des deutschen Vizemeisters 2020 sichern und damit den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte erringen. Das vorbildlich organisierte Turnier stellte den seit Beginn der Corona-Pandemie ersten Schritt zurück an die Schachbretter dar. Es war auch global das seit März 2020 qualitativ und quantitativ bei weitem am stärksten besetzte Turnier, das nicht online sondern "on location" ausgetragen wurde.
Die Südhessen lieferten sich einen spannenden Wettkampf mit dem favorisierten Team des deutschen Serienmeister und amtierenden Titelverteidigers, OSG Baden-Baden. Showdown war das direkte Aufeinandertreffen der beiden bis dahin verlustpunktfreien Mannschaften in der letzten Runde, wobei sich der Titelverteidiger nach hartem Kampf knapp, aber nicht unverdient durchsetzen konnte.
Der Weg zu diesem Turnier und sein Verlauf aus Viernheimer Sicht soll im nachfolgenden festgehalten werden.
Kapitel 1: Juli/August 2020
In mehreren Videokonferenzen beraten die Vertreter der Schachbundesliga e.V., des Deutschen Schachbundes, und der Vereine der 1. Bundesliga darüber, wie es trotz der Pandemie mit dem Spitzenschach in Deutschland weitergehen kann. Es wird schnell klar, dass eine Veranstaltung im Herbst (vor dem erwarteten Anstieg von Infektionszahlen im Herbst/Winter) unbedingt angeboten werden soll, um ähnlich wie in vielen anderen Sportarten ein Lebenszeichen in die nationale und internationale Schachszene zu senden, den Amateuren und Profis Einsatzmöglichkeiten anzubieten, und eine dann fast einjährige Unterbrechung bis in das Frühjahr 2021 zu vermeiden. Es wird auch klar, dass dies sinnvoll nur in Form einer zentralen Veranstaltung gehen wird - und dass einige der Vereine aus logistischen, sportlichen und teilweise auch finanziellen Gründen nicht werden teilnehmen können.
Es reift der Entschluss für ein Bundesliga-Meisterschaftsturnier mir freiwilliger Teilnahme der Mannschaften, auch um auf sportlichem Weg den deutschen Meister 2020 ausspielen zu können; die unterbrochene Saison 2019/2020 soll dagegen als verlängerte Saison 2019/2021 im Frühjahr 2021 beendet werden und dann den deutschen Meister 2021 küren.
In weiteren online-Konferenzen wird ein Rundenturnier mit 8 Mannschaften beschlossen, das innerhalb von 5 Tagen im September im Kongresszentrum Karlsruhe durchgeführt werden soll, organisiert durch das erfahrene und eingespielte Team um Sven Noppes (OSG Baden-Baden und SF Deizisau) und das Schachzentrum Baden-Baden, sowie finanziert durch die Unterstützung der Grenke-Gruppe. Corona-Testmöglichkeiten vor Ort werden in Aussicht gestellt und alle Vereine sprechen sich dafür aus, vor dem Turnier bzw. zu dessen Beginn möglichst alle Spieler und Betreuer testen zu lassen. Spieler aus Risikogebieten unterliegen ohnehin einer Testpflicht, da sonst eine Befreiung aus der behördlichen Quarantäne nicht möglich ist.
Für den Schachclub Viernheim stellt dieses Turnier aufgrund des kompakten Modus die sonst nur schwer realisierbare Möglichkeit dar, im Kampf um den Titel des deutschen Meister ganz vorne mitzuspielen. Nach Rücksprache mit seinem Sponsor, der Frankfurter Unternehmensberatung d-fine, und der Zusage einer gewohnt großzügigen Unterstützung auch für diesen Event, beschließen die Südhessen daher, möglichst den kompletten Bundesligakader nach Karlsruhe zu holen, um sowohl qualitativ als auch quantitativ für die Herausforderungen eines solchen schweren und kräftezehrenden Turniers optimal aufgestellt zu sein.
Kapitel 2: Anfang September 2020
Alle Spieler des Schachclub Viernheim haben großes Interesse an einer Teilnahme bekundet, benötigen teilweise aber erhebliche Unterstützung bei der Planung der Einreise, da für einige Länder eigentlich ein Einreiseverbot nach Europa besteht. Nach Gesprächen mit der Bundespolizei, Klärung von Sonder-Einreiseerlaubnissen für Spitzensportler, vorab-Prüfung von Visa und Pässen, etc., deutet sich an, dass wohl alle Spieler kommen können. Lediglich für zwei französische Spieler deuten sich Probleme an, da es in deren Umfeld jeweils Corona-Verdachtsfälle gab und eine Befreiung aus der Quarantäne aufgrund lokaler behördlicher Vorgaben schwierig werden könnte.
Das Hygienekonzept für den Bundesliga-Event steht mittlerweile und geht im Interesse der Veranstaltung und aller Teilnehmer weit über die behördlichen Vorgaben für Sportveranstaltungen hinaus. Es entstehen jedoch zunehmend Zweifel, ob die eigentlich geplanten Corona-Testmöglichkeiten durch ein benachbartes Labor tatsächlich angeboten werden können, und es wird auch klar, dass für Spieler, die zunächst auf das Ergebnis eines bei Einreise in Deutschland vorgenommenen Tests warten müssen, eine Quarantäne-Unterbringung im Hotel nicht möglich sein wird.
In weiterer intensiver Kommunikation werden alle aus dem Ausland einreisenden Spieler aufgefordert, unbedingt einen Test schon vor der Abreise zu machen - und gleichzeitig im 48-Stunden-Fenster vor der Ankunft in Deutschland. Und der Test muss natürlich den nationalen und internationalen Ansprüchen genügen, auch für die Fluglinien. Zur großen Erleichterung der Team-Manager sind fast alle Spieler in der Lage, termingerecht vor Anreise am Montag 14.9. ihre negativen Testergebnisse zu übermitteln. Lediglich für drei Spieler ist ein qualifizierter und termingerechter Test vor Abreise nicht möglich, so dass diese am Flughafen Frankfurt einen kostenpflichten Test mit Expresslieferung des Ergebnis nach spätestens 6 Stunden in Anspruch nehmen müssen.
Montag Abend sind dann alle erwarteten Spieler mit gültigen und negativen Testergebnissen im Hotel in Karlsruhe angekommen, und auch alle deutschen Spieler und Betreuer wurden negativ getestet. Lediglich bei den beiden französischen Spielern in Hausquarantäne wird klar, dass sie nicht werden anreisen können.
Nachdem das komplette Team aus Sicherheitsgründen frühzeitig angereist war, kann der "freie" Dienstag 15.9. nun zur Entspannung, Vorbereitung und lokalen Einkaufstouren in Karlsruhe genutzt werden, natürlich unter Einhaltung aller Hygienevorschriften und unter Vermeidung unnötiger Kontakte. Aus diesen Gründen gibt es am Montag und Dienstag auch noch kein gemeinsames Team-Abendessen, während sich kleinere Gruppen der Mannschaft spontan und unter freiem Himmel treffen.
Eine erste Besichtigung der beiden Spielsäle im Kongresszentrum zeigt, dass auch hier alles bestens vorbereitet ist und es keinerlei Probleme geben wird, die Hygienevorgaben einzuhalten. Es gibt reichlich Platz, die Trennwände über den Brettern sind extra für diesen Zweck angefertigt worden, die bereitgestellte Verpflegung ist einzeln verpackt, und auch an Tische und Stühle für die Mannschaftsführer wurde gedacht.
Kapitel 3: Mittwoch, 16. September 2020
Es geht endlich los: Zum Auftakt trifft der Schachclub Viernheim nachmittags auf das Team von Bayern München, gegen die im Februar in der regulären Saison noch eine etwas überraschend Niederlage quittiert werden musste. Diesmal wird das Viernheimer Team jedoch seiner nominellen Favoritenrolle gerecht und siegt ungefährdet mit 5,5:2,5 (Originalbericht, siehe hier).
Thal und Sergey remisieren sicher, während Bassem seinen Gegner mit aggressivem Angriffsspiel unter Druck setzt und bereits auf Gewinn steht, als er in beidseitiger Zeitnot auch noch eine Figur gewinnt. Auch Konstantin kann seinen Gegner schrittweise überspielen und einen sicheren Sieg feiern, während Günther objektiv wohl zeitweise ziemlich kritisch stand. Nach einer Ungenauigkeit des Gegners erhielt er jedoch trotz Bauernverlust eine überlegene Stellung, die er dann auch zum vollen Punkt umsetzt; Zwischenstand 4:1 für Viernheim. David hat im Mittelspiel irgendwo den Überblick verloren und kann seine Partie nicht mehr halten, während Anton am Spitzenbrett ein leicht besseres Endspiel nicht entscheidend verstärken kann und in das Remis einwilligen muss. Und in der letzten Partie des Wettkampfes führt Ilja sein schöne Positionspartie dank überzeugender Technik im Turmendspiel zum Sieg. Endstand somit 5,5:2,5 und ein gelungener Auftakt, wobei die ersten drei Spieler der Viernheimer Rangliste wie geplant noch gar nicht zum Einsatz kamen.
Das (fast) komplette Team sah sich dann zum ersten Mal beim gemeinsamen Abendessen, da im Spielsaal Zuschauer nur sehr eingeschränkt erlaubt sind und die nicht aktiven Spieler die Wettkämpfe ihrer Mannschaft überwiegend online mitverfolgen müssen. Dank des perfekten Spätsommerwetters konnte der fehlende Kontakt beim Wettkampf jedoch abends auf der Terrasse des Hotel-Restaurants kompensiert werden, wobei dieses Foto die bis dahin mit Abstand größte und stärkste Versammlung Viernheimer Schachspieler und -spielerinnen an einem Ort dokumentiert (es fehlen lediglich Igor, der erst später dazu kam, und Zigurds, der erst zu einer späteren Runde anreiste).
Kapitel 4: Donnerstag, 17. September 2020
Die erste Doppelrunde des Turniers begann morgens mit dem Wettkampf gegen die Berliner Schachfreunde, der mit 6:2 enden sollte (Originalbericht, siehe hier). Auch hier war der Schachclub Viernheim nomineller Favorit und so sah Vladimir am Spitzenbrett mit den schwarzen Figuren keinen Grund, dem von seinem Gegner angestrebten schnellen Remis durch Zugwiederholung auszuweichen. Nachdem Thal von seinem Gegner schrittweise überspielt wurde und aufgeben musste, lagen die Südhessen dann zum ersten Mal in diesem Turnier in Rückstand, allerdings gab es angesichts der durchweg gut stehenden anderen Partien keinen echten Grund zur Sorge. Yuriys Gegner übersah in leicht schlechterer Stellung einen taktische Schlag und musste direkt aufgeben, während Konstantin in ebenfalls leicht besserer Stellung einen Befreiungsschlag seines Gegners zum Remis übersah.
Anton hatte unterdessen durch ein Qualitätsopfer die gegnerische Königsstellung dauerhaft geschwächt, und konnte nach dem (wohl nicht forcierten) Rückopfers seines Gegners das resultierende Turmendspiel dank guter Technik gewinnen. Mit dem gewohnt souveränen Sieg von Igor stand es somit 4:2. Josefine konnte in verschachtelter Stellung eine Ungenauigkeit des Gegners zum sofortigen Sieg ausnutzen, während Ilja nach einer wilden taktischen Partie in einem Endspiel mit Mehrfigur aber stark reduziertem Material landete. Dadurch spielte Ilja erneut die längste Partie des Wettkampfes, wandelte seinen Vorteil dank einwandfreier Technik aber nach fast 80 Zügen souverän in einen vollem Punkt zum Endstand von 6:2 um.
Nach einer kurzen Mittagspause gab es dann den ersten sportlichen Höhepunkt des Turniers: Zum Wettkampf gegen die starke und routinierte SG Solingen trat der Schachclub Viernheim in Runde 3 mit den ersten 8 seiner Rangliste an, und somit mit dem stärksten Viernheimer Team, das jemals an den Brettern gesessen hat - mit einem Elo-Durchschnitt von 2682!
Der Wettkampf sollte mit 5:3 enden (Originalbericht, siehe hier) und begann mit einem unerwartet schnellen Sieg von Yuriy, der einen Eröffnungsfehler seines Gegners konsequent ausnutzte und nach nur 21 Zügen den vollen Punkt verbuchen konnte. Etwas spätere erreichte Anton ein sicheres Remis mit Schwarz, ebenso wie Sergey und Vladimir. Zwischenstand somit 2,5:1,5. Kurz vor der Zeitkontrolle hatte Bassem seinen Gegner überspielen können, während bei Shakh und Igor noch unklar war, ob die riskanten Angriffsbemühungen durchschlagen würden; Davids Partie sah dagegen kritisch aus. Mit der Zeitkontrolle konnte sich Igor dann durchsetzen, womit der Wettkampf beim Zwischenstand 4,5:1,5 gewonnen war, während Davids Turmendspiel nicht zu halten war.
Shakh am Spitzenbrett versuchte unterdessen ein kompliziertes Endspiel mit Dame+Bauer gegen Turm+Springer+2 Bauern zu gewinnen. Dass es dabei gemäß Computeranalyse wohl einen ausgelassenen studienartigen Gewinn gab, war aber zu verschmerzen, da auch so der Wettkampf mit 5:3 insgesamt souverän und verdient gewonnen war.
Und anschließend konnte das bei einem späten italienischen Abendessen gefeiert werden, bei dem die aktiven Spieler und der Rest des Teams dann wieder zusammenkamen.
Kapitel 5: Freitag, 18. September 2020
Runde 4 des Turniers begann relativ stressfrei am Nachmittag, allerdings wartete mit Werder Bremen erneut ein starker Gegner auf die Viernheimer. Wie der Endstand von 6:2 zeigt (Originalbericht, siehe hier), hatte Mannschaftsführer Stefan Martin erneut gut geplant und einigen Spielern bewusst eine Pause gegönnt. Durch den Einsatz unter anderem der ersten 5 Bretter der Rangliste war das Team aber trotzdem stark genug für einen sicheren Sieg.
Den Anfang machte Yuriy, der sich mit Schwarz durch aktives Spiel befreite und ein Remis durch Dauerschach forcierte. Vladimir spielte gewohnt sicher und die Partie ging schnell in ein völlig ausgeglichenes Endspiel über, während Igor seinen Gegner in einer Isolani-Stellung mit einen Angriffs- und Opferwirbel überrannte.
Dem folgte etwas später ein schöner Schwarzsieg von Konstantin, wodurch ein 3:1-Vorsprung sichergestellt war. Ilja konnte seine etwas bessere Stellung aufgrund der unerwartet zähen Verteidigung seines Gegners letztendlich nicht gewinnen, während David endlich seine Klasse zeigen konnte und mit Schwarz sicher gewann, wodurch der Wettkampf mit 4,5:1,5 entschieden war. Shakh am Spitzenbrett gewann danach sein Läufer-Endspiel mit der Technik eines Weltklassespielers, während Anton seinen Vorteil nicht so richtig verwerten konnte und sein Gegner im Endspiel Turm+Läufer gegen Turm bis zum 120. Zug keinen Fehler machte und sich ein Remis sicherte. Endstand somit 6:2 ohne Verlustpartie und ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem angestrebten großen Finale.
Und da das Wetter immer noch mitspielte, konnte das gesamte Team diesmal im Biergarten bei bodenständiger Wirtshaus-Küche die bisherigen Erfolge feiern. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch der große Favorit OSG Baden-Baden bis dahin alle Wettkämpfe gewonnen hatte und sich keine Blöße gab.
Kapitel 6: Samstag, 19. September 2020
Die zweite Doppelrunde begann am Vormittag mit Runde 5 und dem vermeintlich leichten Match gegen den klaren Außenseiter SV Aachen. Letztendlich konnte sich das etwas schwächer angetretene Team des Schachclub Viernheim auch glatt und deutlich mit 7:1 durchsetzen (Originalbericht, siehe hier). Allerdings begann der Morgen mit einer Schrecksekunde, da Günther in eine Eröffnungsfalle seines Gegners tappte und schon nach 13 Zügen nur noch die unangenehme Wahl hatte zwischen einer Partie mit Minusqualität ohne jede Kompensation, oder einem in der Brettmitte gefangenen König. Letzteres führte dann zu einem schnell Ende und dem 0:1-Rückstand für die Südhessen.
Danach sollte sich die Stärke der Viernheimer aber doch durchsetzen, beginnend mit Siegen von Ilja, Josefine und Zigurds, der extra für diese eine Partie angereist war. Es soll auch noch erwähnt werden, dass Josefine die einzige Frau war, die bei diesem Event von einer der acht Mannschaften aufgestellt wurde, und mit ihren beiden Gewinnpartien eine makellose Bilanz ablieferte. Beim Zwischenstand von 3:1 konnte Sergey dann seinen Gegner in beidseitiger Zeitnot ebenso überspielen wie Konstantin in seiner Partie, während Thal zunächst glatt auf Verlust stand, seinen Gegner durch kreative Verteidigung aber zu Fehlern provozieren und am Ende sogar noch gewinnen konnte. Ebenfalls gewinnen konnte Bassem in einem schwierigen Endspiel, nachdem er vorher in einer schönen Angriffspartie irgendwo den direkten Knock-out nicht gefunden hatte. Der Endstand von 7:1 war in dieser Höhe vielleicht etwas glücklich, aber auch nicht völlig unverdient.
Und Runde 6 am späten Nachmittag brachte dann das - gefühlte - Halbfinale gegen Deizisau. Das ebenso wie die OSG Baden-Baden von der Grenke-Gruppe gesponsorte Team hatte bis dahin lediglich gegen Baden-Baden verloren und war Mitfavorit auf die vordersten Plätze des Turniers. Folgerichtig trat Viernheim wieder mit den am Morgen geschonten Spielern an und brachte die Top-8 an die Bretter, was am Ende mit einem 5:3-Sieg belohnt wurde (Originalbericht, siehe hier).
Yuriy lieferte sich mit Georg Meier einen wilden Schlagabtausch schon in der Eröffnung, bevor sich beide Spieler nach 20 Zügen in immer noch unklarer Stellung auf Remis einigten. Sergey remisierte sicher mit Schwarz, und Igor holte mit einem schönen Sieg den ersten vollen Punkt für die Südhessen. Anton spielte ebenso kreativ wie auch riskant, und hätte nach einem präzisen ruhigen Zug seines Gegners wohl aufgeben müssen; stattdessen endete die Partie bei beiderseitig offener Königsstellung mit einem Remis durch Dauerschach. Beim Stand vom 2,5:1,5 hatte Shakh am Spitzenbrett gegen Weltklassespieler Gata Kamsky einen Vorteil herausgearbeitet, während Bassem, Vladimir und David leicht unbequemere Stellungen und noch viel kraftraubende Arbeit vor sich hatten.
Letztendlich gewann Shakh aber wie erwartet seine Partie in beeindruckender Manier und alle drei anderen Partien konnte Remis gehalten werden, womit der Endstand von 5:3 ohne Verlustpartie erreicht war. Der Wettkampf hätte objektiv betrachtet viel enger ausgehen können, aber so konnte die Mannschaft mit allen Spielern und Betreuern bei einem erneut italienischen Abendessen am späten Abend das Erreichen des erhofften Zwischenziels feiern: Ungeschlagen ins Finale gegen die OSG Baden-Baden!
Kapitel 7: Sonntag, 20. September 2020
Die 7. und abschließende Runde des Bundesliga-Meisterschaftsgipfels sah am Sonntag Vormittag somit den von vielen erwarteten und erhofften Showdown: Die OSG Baden-Baden und der Schachclub Viernheim trafen jeweils ohne Punktverlust direkt aufeinander, um den Titel des deutschen Meisters 2020 auszuspielen. Dabei hatte die OSG allerdings das nominell stärkere Team und auch den Vorteil, dass ihr aufgrund der besseren Brettpunkte ein 4:4 reichen würde, während Viernheim den Wettkampf gewinnen müsste. Das Endergebnis von 4,5:3,5 für Baden-Baden (Originalbericht, siehe hier) war aus Viernheimer Sicht etwas unglücklich, aber auch das durchaus machbare 4:4 hätte am Ende "nur" den Titel des deutschen Vizemeisters bedeutet.
Der Wettkampf begann mit einem sicheren Remis von Shakh am Spitzenbrett, der durch sein aktives Spiel dem aktuellen Zweiten der Weltrangliste, Fabiano Caruana, keinerlei Hoffnungen auf einen Vorteil einräumte. Vladimir hatte gegen Weltklassespieler Maxime Vachier-Lagrave eine optisch minimal bequemer aussehende Stellung, die objektiv aber völlig ausgeglichen war. Yuriy remisierte danach in unklarer Stellung gegen Levon Aronian, und ebenso Anton gegen Richard Rapport.
Nach diesem 2:2 an den vorderen Brettern lag somit alles an den Brettern 5-8 und es begann zunächst gut mit einem schönen Sieg von Sergey gegen Etienne Bacrot zur Viernheimer Führung. Leider hatte der von den beiden schweren und langen Partien des Vortags wohl doch etwas ermüdete Bassem seine Dame in eigentlich bequemer Stellung auf Abwege gebracht und musste wenig später gegen Francisco Vallejo-Pons aufgeben - 3:3.
Igor musste eine Qualität ohne echte Kompensationen opfern, nachdem er von Arkadij Naiditsch überspielt worden war, während David sich gegen Michael Adams einen leichten Vorteil erkämpft hatte. Igor konnte danach noch einige Drohungen gegen den etwas offenen stehenden König des Gegner aufbauen. Objektiv betrachtet sorgte dies aber nur aufgrund der Wettkampfsituation für erhebliche Spannung, da das bedrohlich wirkende Gegenspiel mit einigen präzisen Zügen neutralisiert werden konnte und Igor aufgeben musste. Damit war das entscheidende 4:3 für Baden-Baden nach hartem Ringen erreicht, was sich auch an der kurzen emotionalen Reaktion der Betreuer des deutschen Serienmeisters ablesen lies. David hatte unterdessen in einem Doppelturmendspiel eine studienartige Gewinnstellung erreicht, übersah diese Möglichkeit aber, was dem kräftezehrenden Turnier wohl ebenso geschuldet war, wie dem bereits entschiedenen Kampf um den Titel.
Nach einer kurzen Phase der Enttäuschung konnte sich der Schachclub Viernheim dann spätestens bei Übergabe der Silbermedaillen darüber freuen, mit dem Titel des deutschen Vizemeisters den größten Erfolg in der Geschichte des Vereins erreicht zu haben.
Und gemeinsam mit Markus von Rothkirch (Vertreter des Sponsors d-fine) und dem Vereinsvorsitzenden Stefan Schmidt ging es für das gesamte Team und die Mannschaftsführer (Stefan Martin und Stefan Spiegel) dann zum abschließenden Abendessen erneut in das benachbarte Wirtshaus, um den großen Erfolg zu feiern und das Turnier ausklingen zu lassen. Für die meisten Spieler stand am Abend beziehungsweise Folgetag noch eine teils mühsame Rückreise in die jeweilige Heimat an, während einige Spieler sogar direkt zum nächsten Turnier nach Spanien weiterreisten.
Sowohl den lokalen Organisatoren als auch den Vereinsvertretern und Sponsoren ist zu danken, dass sie diese gelungene Veranstaltung mit großem Aufwand ermöglicht haben - und nicht zuletzt den Spielern und Spielerinnen, die mit ihrem Einsatz die Bundesliga-Meisterschaftsrunde zu einem auch sportlichen besonderen Event gemacht haben.
Aus Viernheimer Sicht sind dabei insbesondere die Leistungen von Shakhriyar Mamedyarov (Ratingverbesserung +6), Yuriy Kryvoruchko (+8), Igor Kovalenko (+9), Konstantin Tarlev (+6), Ilja Zaragatski (+5) und Josefine Heinemann (+13) hervorzuheben - wobei natürlich alle für die Südhessen teilnehmenden Spieler und Betreuer zu dem ausgeprägten Mannschaftsgeist und der guten Stimmung beigetragen haben, die sicherlich zu dem einen oder anderen halben Brettpunkt mehr geführt haben.
Als mittelfristiger Ausblick bleibt nun nur noch zu hoffen, dass im Interesse des nationalen und internationalen Schachsports auch die reguläre Bundesliga wie geplant im Frühjahr weitergehen kann.